Das Geheimnis des teuren Stroms – Warum steigt unser Strompreis, obwohl die erneuerbaren Energien immer preiswerter werden? (2023)

Im letzten Sommer überraschte die Ankündigung der OVAG, dass die Stromrechnung um 50 bis 60 Prozent steigen werde. Wie das, fragten sich viele Verbraucher. Über die Hälfte des Stroms für den deutschen Energiemix werde doch inzwischen aus erneuerbaren Energien erzeugt. Und dieser Strom sei erheblich preiswerter als der aus der Verstromung fossilen Energien. Das gelte besonders auch für die OVAG, unseren regionalen Energieversorger, der sich selbst einen „Vorreiter der Energiewende“ nennt. So wird der Naturstrom für die Ökostromtarife der OVAG in 60 eigenen Windkraftanlagen im Vogelsberg erzeugt. Hinzu kommt der Strom aus Fotovoltaikanlagen, von dem eigenen Wasserkraftwerk in Inheiden und der Biogasanlage in Wölfersheim. Das sei genügend Ökostrom pro Jahr, um derzeit alle Ökostrom-Kunden und alle Ladestationen für Elektroautos der OVAG mit Naturstrom zu versorgen, heißt es auf der Webseite des Unternehmens. Der Verein Erneuerbare Energien für Schotten (EES) lud deshalb Joachim Arnold den Vorstandsvorsitzenden der OVAG ein, damit er dieses für Außenstehende Missverhältnis aufklärt.

Zunächst verwies Arnold auf die Physik. Strom sei keine „Lagerware“, sondern werde unmittelbar nach seiner Erzeugung in das Stromnetz eingespeist und verbraucht. Und das müsse mit 50 Hertz im Gleichgewicht gehalten werden, egal woher der Strom kommt. Sogenannter Ökostrom sei deshalb eine fiktive Größe. Windstrom werde genauso in das Netz und damit in den allgemeinen Markt eingespeist wie der durch Gas, Kohle oder Atomkraftwerken erzeugte Strom und möglichst in Erzeugernähe verbraucht. Das gelte auch für den durch die OVAG-eigenen Windräder erzeugten Ökostrom. Der vor Ort nicht genutzte Strom z.B. überschüssiger Windstrom in Mecklenburg-Vorpommern oder von Off-Shore-Anlagen aus der Nordsee wird dann in das Fernleitungsnetz eingespeist.

Nun seien Wind und Sonne aber nicht immer verfügbar und der Stromverbrauch schwanke über den Tag. Mittags sei er inzwischen am Höchsten wegen der vielen Computer in den Büros und im Home Office. Das habe Konsequenzen für die Art der Stromerzeugung. Kohlekraftwerke und AKWs erzeugen beständig Strom. Sie könnten aber nicht kurzfristig abgeschaltet und wieder angefahren werden. Sie lieferten die Grundlast für das gesamte Stromnetz. Gaskraftwerke könnten dagegen bei Stromschwankungen kurzfristig eingesetzt werden. Batterien wie Pumpspeicherwerke könnten auch nur kurzfristig gewisse Schwankungen ausgleichen.

Der Strompreis ist dann ein Marktpreis, der tagesaktuell an der Strombörse in Leipzig festgesetzt wird. Zu dem Preis wird auch der selbst erzeugte Strom abgegeben. Allerdings würden Stromenergieverteiler ihren in der Zukunft gebrauchten Strom oft mehr als ein Jahr vorher bis auf eine tagesaktuelle Viertelstunde an der Börse einkaufen. Das gelte auch für die OVAG, die damit ihren Kunden eine gewisse Preisstabilität garantieren konnte.  Weicht die eingekaufte Menge vom tatsächlichen Verbrauch nach oben oder unten ab, muss entweder sehr viel teurer nachgekauft oder die überflüssige Menge wieder abgegeben werden. Manchmal sogar zum Preis unter dem Einkauf. Durch den Wegfall des billigen russischen Gases, das zu einem großen Teil verstromt wurde, hätten sich die Großhandelspreise innerhalb eines Jahres versiebenfacht. Das hätten jetzt vor allem Kunden von sogenannten Billiganbietern zu spüren bekommen, die meistens nur mit geringem zeitlichen Vorlauf oder sogar nur tagesaktuell Strom eingekauft haben.

Neben dem reinen Strompreis, der also durch eine vorausschauende Einkaufspolitik des jeweiligen Stromanbieters beeinflusst werden kann, gibt es weitere nicht beeinflussbare Größen wie Steuern, Umlagen und Abgaben sowie Netzentgelte. Zum 1. Januar 2023 machen Stromeinkauf und Vertrieb bei der OVAG 51,6% aus. Der Preis dafür habe sich im letzten Jahr mehr als verdoppelt. Hinzu kommen Steuern, Umlagen und Abgaben (25,7 %) und Netzentgelte (22,7%), die früher einen höheren prozentualen Anteil ausmachten. Wir als Kunden bezahlen den Gesamtpreis.

Auf Nachfrage ging Arnold abschließend noch auf die sogenannte Strompreisbremse ein. Der Begriff sei etwas irreführend. Denn tatsächlich sei nicht der Strompreis begrenzt, sondern die Kunden erhalten zu ihren Stromkosten einen über die Höhe des aktuellen Strompreises definierten Zuschuss vom Staat. Diese Letztverbraucher – darunter fallen in der Regel die privaten Haushalte – bezahlen für 80 % ihres vom Netzbetreiber aktuell prognostizierten Jahresverbrauchs brutto nur 40 Cent pro Kilowattstunde. Für den Stromverbrauch, der über den 80 % liegt, gilt der Arbeitspreis aus dem Stromlieferungsvertrag ihres jeweiligen Lieferanten.