Im Nervenzentrum der OVAG – Besichtigung der Netzleitwarte (2012)

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Dr. Jutta Kneißel mit OVAG Vorstand Rolf Gnadl (links) und dem Leiter des Netzbetriebs Alfred Kraus

„Ist bei uns ein totaler Stromausfall wie kürzlich in Indien möglich“, war die Eingangsfrage von Dr. Jutta Kneißel, Vorsitzende des Vereins Erneuerbare Energien für Schotten bei einem kürzlichen Besuch in der Netzleitwarte der OVAG am Stadtrand von Friedberg. OVAG-Vorstand Rolf Gnadl hatte Vereinsmitglieder und Interessierte in das „Nervenzentrum“ eingeladen. Hier wird das gesamte Stromnetz der OVAG überwacht, um eine reibungslose Stromversorgung sicherzustellen.

Ein totaler „Black Out“ sei zwar auch bei uns grundsätzlich möglich aber nicht sehr wahrscheinlich, so Alfred Kraus, Prokurist und Leiter des Netzbetriebs der ovag Netz AG. Und zwar dann, wenn die Frequenz von 50 Herz im europäischen Verbundnetz über- oder unterschritten wird. Das könne passieren, wenn die eingespeiste Leistung und der aktuelle Verbrauch nicht im Gleichklang sind. Falls das in Deutschland passiere, würde sich nach einer Sekunde zum Beispiel Frankreich abkoppeln. Wir säßen dann im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Es käme also immer darauf an, die Spannung stabil zu halten. Werde mehr verbraucht, müsse zusätzliche Leistung zugeführt werden. Am 9. Februar dieses Jahres gab es eine schwierige Situation in Süddeutschland. Sie wurde entschärft, weil 6000 Megawatt Strom aus Österreich in das deutsche Netz eingespeist wurden.

Allerdings lägen diese Probleme außerhalb der Zuständigkeit der ovag Netz AG. Sachgebietsleiter Christian Weber und seine Mitarbeiter, genannt „Netzführer“ überwachen im Rund-um-die Uhr-Schichtbetrieb von ihren Steuerpulten das OVAG Stromnetz. Störungen und somit Stromausfall können zum Beispiel durch Blitzeinschläge, umfallende Bäume entstehen oder ein Bagger beschädigt ein Erdkabel. Bei Stromausfall erfolgt eine Fehlermeldung. Das System erkennt, wo der Fehler verortet ist und zeigt die Störungsstelle in der grafischen Darstellung des Netzes am Bildschirm. Die Netzführung benötigt diese Information, um auf eine andere Leitung umzuschalten, damit der stromlose Bereich wieder versorgt wird. Es ist aber auch die Information für den Reparaturtrupp, damit der nicht die Netzleitungen über viele Kilometer abfahren muss. Am 28. Juli dieses Jahres gab es im Verlauf eines Unwetters 5300 Blitzeinschläge im OVAG-Versorgungsgebiet. Einige davon führten auch zu Kurzschlüssen im Netz. Mit einer Blitzortung und einem Satellitenbild konnten die Einschlagorte auf 100 Meter genau festgestellt werden.

Netzführer Christian Weber erklärt die neuen Schaltkästen für das Smart Grid

Noch kauft die OVAG den meisten Strom auf dem Strommarkt. Systemrelevant seien aber inzwischen auch Photovoltaik-Anlagen im OVAG-Netzgebiet, die direkt in das Niederspannungsnetz einspeisen mit dem die Haushalte versorgt werden. So wurden am 1. August 90 Megawatt Strom mit PV-Anlagen im OVAG-Gebiet erzeugt, berichtete Alfred Kraus. Das entsprach an diesem Tag einem Drittel des Stromverbrauchs.

Eine weitere Säule der Energiewende sind Windkraft-Anlagen. Der Vogelsberg sei das windhöffigste Gebiet in Hessen. Hier ist der Windertrag desselben Windanlagentyps 1,6 mal größer als in der Wetterau. Die Leistung der Windkraftwerke kann über eines der 21 Umspannwerke direkt in das 110 kV Hochspannungsnetz eingespeist werden, sofern der Verbrauch über das Mittelspannungsnetz nicht vor Ort oder in der Umgebung möglich ist. Die aktuelle Leistung jeder Windmühle im OVAG-Netz kann vom Steuerpult kontrolliert werden, was Christian Weber an mehreren Beispielen demonstrierte.

Überhaupt sei die Energiewende für unser Stromnetz eine riesige Herausforderung, so Vorstand Gnadl. Die aus den 1960er Jahren stammenden Stromleitungen seien für die dezentrale Energieerzeugung nicht ausgelegt. Sie müssten heute mehr Leistung aufnehmen können, um die von Wind und Sonne abhängige Erzeugung besser auszugleichen. Für deren Instandhaltung und Ausbau investiere die OVAG sehr viel Geld. Ein schnellerer Ausbau werde jedoch durch das zu knappe Netzentgelt begrenzt. Dies werde von der Aufsichtsbehörde Bundesnetzagentur festgelegt. Mit dem Netz seien kaum Gewinne zu erwirtschaften. Das müsse sich ändern.

Die Energiewende sei ohne Atomstrom und zusätzliche Kohlekraftwerke zu schaffen, gibt sich der Ingenieur Alfred Kraus optimistisch. Entscheidend werde dazu die Entwicklung der Speichertechnik in den nächsten Jahren sein. Schon heute liege die Einspeisevergütung für PV-Anlagen unter dem Strompreis von Privatkunden. Wenn die Preise für Haushalt-Speicher genau so fallen, gäbe es immer mehr Selbstversorger. Und unser Erdgasnetz biete genügend Speicher für durch Strom erzeugtes Methan. Damit könnten Engpässe überwunden und die Industrie versorgt werden.

Die Besucher zeigten sich beeindruckt von der Kompetenz der OVAG-Mitarbeiter. Im Personalbereich liege eine riesige Herausforderung in Bezug darauf die Energiewende meistern zu können, so Gnadl. Es sei sehr schwierig, im Ingenieurbereich qualifiziertes Personal zu finden. Zwar bilde sie viele junge Menschen aus und unterstütze sie mit Stipendien bei einem weiterführenden Studium zum Ingenieur. Der Bedarf sei jedoch viel größer, weil die OVAG wichtige Teile ihres Stromnetzes mit eigenem Personal und selbst konfigurierter Technik umrüste, um von Dritten unabhängig zu sein.