Das war die Ausgangsfrage für die Veranstaltung des Vereins Erneuerbare Energien für Schotten (EES) gemeinsam mit der SPD und den Grünen. Dazu hatten sie den Diplom-Ingenieur Michael Schramek, Geschäftsführer von EcoLibro, einer Firma für strategische und operative Mobilitätsberatung eingeladen. Die Leute diskutierten immer über die Technik wie z.B. die Größe und Reichweite von Autobatterien, wenn es darum geht auf ein Elektroauto umzusteigen und nicht. Die Technik sei ein Problem der Ingenieure. Die würden veränderte Anforderungen schon lösen, so die Botschaft des Mobilitätsexperten. Viel wichtiger und viel schwieriger sei eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens vor allem auf dem Land, wo es kein Parkplatzproblem und keine Staus gäbe.
Die Notwendigkeit der Energieeinsparung sei unbestritten. Seit 1960 gebe es einen extremen Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre und eine steigende Erderwärmung. Soll die gestoppt werden, müssten die Treibhausgase auf 15 Prozent des heutigen Verbrauchs in den nächsten zehn Jahren reduziert werden. Dann hätte jeder von uns nur noch ein jährliches CO2 – Budget von 500 Kilogramm für die Mobilität. Davon könne man mit einem besonders sparsamen Diesel-PKW 5.000 Kilometer fahren. Die durchschnittliche Fahrleistung liege allerdings bei 15.000 Kilometern. Allerdings müsste von diesem Budget auch das Fahrzeug produziert werden, welches mit ca. 6 t Emissionen zu Buche schlägt. Ein Hin- und Rückflug nach Mallorca emittiere bereits 700 Kilogramm CO2. Unsere Ernährung sei wegen des hohen Düngemittelanteils einer der größten CO2 – Emittenten, weil Kunstdünger mit Erdgas hergestellt werden. „Wir fressen buchstäblich Erdgas!“, so der drastische Vergleich von Schramek. Hinzu komme, dass die Förderung von Erdöl immer teurer werde, weil die bisher ausgebeuteten großen Ölfelder schrittweise zur Neige gingen und die Erschließung neuer Vorkommen hohe Investitionen bei abnehmenden Erträgen erfordern. Die Energiepreise werden also weiter steigen. Und das gelte unabhängig von dem Krieg in der Ukraine. Der Welterschöpfungstag, also der Tag an dem wir in Deutschland aus ökologischer Sicht bereits über unsere Verhältnisse lebten, lag 2019 am 2. Mai. Bei unseren Großeltern war es 1965 noch der 28. Dezember. Allein diese Zahlen belegten, dass sich unser Konsum- und Mobilitätsverhalten drastisch ändern müsse.
Um die beruflich erzwungene Mobilität zu verringern, müssten die Arbeitsorte wie z.B. Homeoffice oder Arbeitsplatz in der Firma zusammengedacht werden. Dass das auch auf dem Lande möglich sei, erläuterte Schramek an dem Netzwerk Coworking Nordhessen, wo inzwischen neun Coworking-Spaces – also vom Firmenstandort ausgelagerte Arbeitsplatzangebote –kooperieren. Eines davon ist in Alsfeld. REWE beispielsweise strebt an, dass zukünftig 50 Prozent ihrer Mitarbeiter*innen (nicht die Kassierer*innen) im Home-Office arbeiten sollen. Das werde auch wegen der beruflich bedingten Staus vor den Großstädten zunehmen, zumal sich viele Menschen die teuren Mieten dort nicht leisten könnten. Hinzu käme der Fachkräftemangel, der dazu führe, dass die Unternehmen ihren Mitarbeiter*innen attraktive Angebote z.B. mit Home Office oder in Coworking- Büros machen müssten. Dadurch würden weniger Fahrten entstehen.
Natürlich werde die Elektromobilität zunehmen. Jeder dritte Firmenwagen werde bereits heute als E-Auto zugelassen. In Norwegen sind bereits fast 90 Prozent. Bei uns werde es spätestens ab 2024 einen Boom geben, weil dann die ersten Gebraucht-E-Autos auf den Markt kämen. Allerdings seien Elektro-Auto allenfalls ein kleiner Teil der Lösung, deren Produktion sogar ein Problem, denn dabei würden 144 Tonnen CO2 pro Auto verbraucht. Das sei auch der Grund, weshalb das neue Tesla-Werk in Brandenburg gebaut wurde, weil es dort von den Windparks in der Ostsee genügend umweltfreundlichen Windstrom gibt.
Gerade auf dem Land müsse das Konzept von CarSharing forciert werden. Dann gäbe es weniger Fahrzeuge, wodurch die Produktionsemissionen auf ein Drittel sinken könnten. Dazu gebe es bereits ermutigende Lösungen, z.B. im Schwalm-Eder-Kreis, wo unter anderen auch die Menschen ihre privaten „Standfahrzeuge“ für das CarSharing zur Verfügung stellten. In Jesberg wird das Angebot durch einen Verein organisiert. Vereinsmittglieder zahlen für den Zoe (ein Elektro-Auto) 0,13 Euro pro Kilometer. Die Stunde kostet 2,20 Euro und der Tag 24,20 Euro. Getankt wird an der Ladesäule beim Rathaus mit regenerativ erzeugtem Strom. Außerdem sind im Angebot E-Bikes, Lastenfahrräder, Elektro-Motorroller und Anhänger. Als Faustformel für die eigene Mobilität nannte Schramek die Nutzung seines E-Bikes bis 10 Kilometer Entfernung, das Auto von 10 bis 100 Kilometer und die längeren Fahrten mit der Bahn. Auf der Internetseite homberg.cleveroute.net erhält man eine individuelle Reiseauskunft, welche Verkehrsmittel man in welchen Kombinationen schnell, günstig, gesund und am wenigsten klimaschädlich nutzen sollte.
Ortenberg in unserer unmittelbaren Nachbarschaft hat ein Elektro-Mobilitätskonzept entwickelt (www.ortenberg.net/seite/414159/elektromobilität). Andreas Nicht und Pia Heidenreich-Herrmann von den „dorfbewegern“ im Ortsteil Effolderbach berichteten von ihrem CarSharing-Projekt (www.dorfbeweger.de). Es gibt also Lösungen für eine ressourcenschonende Mobilität auf dem Lande.
Schließlich kam der Mobilitätsexperte doch noch Technik zu sprechen und entwickelte eine Zukunftsvision, die unsere Mobilität stark verändern würde. So gäbe es auf normalen Straßen bereits hochautomatisiert fahrende Kleinbusse, die in 2-3 Jahren aus dem Büro gesteuert würden. Das Konzept sei wohl bis 2027 wirtschaftlich und könnte dann den öffentlichen Nahverkehr gerade auf dem Land revolutionieren. Dann würde es sich lohnen, Busse im Viertelstundentakt fahren zu lassen. Auf CarSharing übertragen, könnten die Autos von einer Zentrale bis vor das eigene Haus gefahren werden.
Wollen wir eine nachhaltige Mobilität auf dem Lande erreichen, ist ein Umdenken dringend erforderlich. Denn die größte Hürde seien die eingefahrenen Gewohnheiten, wenn das Auto vor der eigenen Tür doch so bequem ist.